Was tun gegen menschenunwürdige Missstände in der Pflege?

Veröffentlicht am: 19. Juli 2017 von Andreas Klein

Als Fachpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin habe ich während meiner langen Zeit auf verschiedensten Intensivstationen extrem viele, teils schwer zu ertragende Situationen, schwerste Krankheiten, Unfälle und Tod erlebt. Bei Berichten wie diesen (zum Artikel „Lassen Sie ihn, der liegt doch schon im Sterben“ auf welt.de) packt mich dennoch das blanke Entsetzen und die geschilderten Missstände machen mich unsäglich betroffen und traurig. Denn es ginge ganz anders!

Was sich in den geschilderten Fällen zeigt, sind ausschließlich Symptome, die allesamt auf schwere „Systemfehler“ in unserem Gesundheits- und Pflegesystem zurückzuführen sind. Zu erwarten ist, dass seitens der Politik auf Missstände wieder nur mit noch mehr Kontrollen und Überwachung reagiert wird. Klug wäre es jedoch, endlich die kausalen Ursachen anzugehen. Dazu gehören beispielsweise:

1. eine überbordende Bürokratie mit extrem zeitaufwändigen Abrechnungsmodalitäten, die kompliziert sind und wo Abrechnungsfehler aufgrund der Komplexität vorprogrammiert sind

2. ein Vergütungssystem, das Fallpauschalen vorsieht, anstatt den tatsächlichen Zeitaufwand zu berücksichtigen, der für die Menschen benötigt wird. Pflegedienste und -anbieter müssen so ein Interesse haben, möglichst viele Leistungen in möglichst kurzer Zeit zu erbringen, damit wirtschaftlich gearbeitet werden kann.  Pervertiert wird das Ganze dann, wenn Unternehmen im Sinne des Shareholder Value agieren. Gewinnmaximierung kann dann nur funktionieren, wenn Mitarbeiter, die fast immer eine Stundenvergütung erhalten, zu noch mehr Leistungen getrieben werden. Verwundert es da, dass Pflege zu einer Akkordarbeit mutiert ist? Nicht der Mensch steht im Mittelpunkt, sondern der Fokus liegt auf den Leistungen bzw. den Umsätzen, die zu erbringen sind.

3. Ein drastischer (System-)Fehler des Vergütungssystems ist, dass es keinerlei Anreizsysteme dafür gibt, hilfebedürftige Menschen wieder selbständiger zu machen. Im Gegenteil, den größten Umsatz macht man als Dienstleister dann, wenn man die Menschen hilfebedürftig lässt oder wenn es gelingt, einen noch höheren Pflegegrad durchzubekommen. So pervers es sich anhört – je höher der Pflegegrad, desto weniger zeitaufwändig wird es oft, da sich die Pflege bei Menschen, die überwiegend bettlägerig sind und die sich nicht mehr wehren können, viel besser planen lässt. Am meisten Arbeit machen die Menschen, die wieder mobilisiert werden und/oder die Menschen, die ihre Bedürfnisse noch klar formulieren und einfordern können. Ich denke an dieser Stelle wird klar, welche Konflikte und Widersprüche sich auftun. Gesellschaftlich betrachtet werden unfassbar viele Ressourcen verschwendet und im Grunde genommen können wir vor dem Hintergrund des Pflegenotstandes und der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren alle nur das Interesse haben, das wir hilfebedürftige Menschen dabei unterstützen, stets ein Höchstmaß an Selbständigkeit zu behalten. Irgendwie logisch, oder? Mit den aktuellen Rahmenbedingungen kann das gar nicht gelingen. Es gibt noch einige weitere erhebliche Probleme, aber dazu bei anderer Gelegenheit.  

An dieser Stelle gebe ich für “Die Pflegeblogger” ein Versprechen ab, dass wir unseren Beitrag dazu leisten fundamentale Veränderungen in unserer Gesellschaft zu erreichen, die wirklich den Menschen zugutekommen – indem die Pflegekräfte selbst daran mitwirken können, ein besseres System zu schaffen. Dabei fühlen wir uns bei allen Entscheidungen an unseren Leitsatz „Pflege verbindet Menschen“ gebunden und inspiriert. Dieser Leitsatz entstand übrigens aus der Frage, welchen Zweck unser Unternehmen eigentlich hat. Dient unser Unternehmen im Sinne des Share Holder Value den Eigentümern oder soll unser Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und einen Beitrag zu einem besseren Miteinander leisten. Nach alledem was ihr hier lesen könnt dürfte die Antwort klar sein.

Lasst uns also die Themen angehen, denn durch diskutieren und lamentieren verändert sich nichts. Lasst uns Beispiele schaffen, wo alternative erfolgreiche Konzepte in die Praxis umgesetzt werden. Bereits jetzt haben wir selbst schon einige Erfolge und auch einige bemerkenswerte und erfolgversprechende Konzepte auf den Weg gebracht.

An die Idee, dass sinnstiftende Ziele und ein Miteinander auf Augenhöhe für die notwendigen Veränderungen sorgen können, glauben derzeit noch zu wenige. Dass wirtschaftlicher Erfolg gar ein Nebenprodukt dieser Herangehensweise ist, halten sogar viele für vollkommen absurd.

Zeigen wir Ihnen, dass es funktioniert!

Autor

Andreas Klein,  Initiator von „Die Pflegeblogger“ und geschäftsführender Gesellschafter von CareService
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